Ohne Ex-Bafin-Chef Sanio in den Endspurt des HSH-Prozesses.
Das juristische Neuland des Prozesses erweist sich immer mehr als schwer zu beackernder Boden. Und als steiniger dazu.
Am Anfang des Verfahrens half noch ökonomischer Sachverstand, um dem Aufarbeiten des Geschäft Omega 55 durch das Gericht zu folgen. Jetzt aber gehen die Prozessbeteiligten immer intensiver zum rechtlichen Analysieren und Bewerten über, um herauszufinden, was Pflichtverletzung, Untreue, Vorsatz oder Fahrlässigkeit gewesen sein könnte/war. Das versetzt der Prozessbeobachtung eine zunehmende Tiefe. Die Unruhe unter den Angeklagten und ihren Verteidigern nimmt ebenfalls zu, die Lautstärke teilweise auch.
Gericht will Ex-Bafin-Chef Sanio nicht hören
Der 52. Verhandlungstag zählt zu den dicht gedrängten. Als Einstimmung lehnte das Gericht geschäftig mehrere Beweisanträge der Verteidiger ab. Das Ansinnen von Strafverteidiger Norbert Gatzweiler (für Peter Rieck), nochmals Mitarbeiter der Rechtsabteilung als Zeugen zu hören, zielt nach Einschätzung der Richter lediglich auf eine “Wiederholung der Beweisaufnahme” ab. Die Zeugen seien schon umfassend befragt worden. Das Gericht erwartet sich deshalb keine neuen Tatsachen.
Auch den Beweisantrag von Verteidiger Heinz Wagner (für Dirk Jens Nonnenmacher) wiesen die Richter zurück. Wagner wollte den früheren Präsidenten der Bankenaufsicht Bafin, Jochen Sanio, befragen. Und den Widerspruch von Verteidigerin Gaby Münchhalffen (für Berhard Visker) gegen die Vernehmung der beiden Wirtschaftsprüfer der Gesellschaft KPMG an diesem 23. April lehnten die Richter als “unbegründet” ab.
Karrieresprung für Richter Tully
Anschließend informierte der Vorsitzende Richter der 8. Strafkammer, Marc Tully, die Anwesenden in eigener Sache. Er sei ab 1. Mai nicht mehr nur Vorsitzender Richter der 8. Strafkammer, sondern auch noch Richter am Oberlandsgericht. Er sei versetzt worden. Deshalb bekleidet er künftig 2 Stellen jeweils zu 50 Prozent.
Neue Impulse für Rechtsdiskurs durch weiteres Gutachten
Verteidiger Reinhard Daum, der Hartmut Strauß vertritt, erhielt wenig später das Wort. Daum knüpfte an die rechlichen Einschätzungen der Richter an den vergangenen Hauptverhandlungstagen an und befand, er wolle dem rechtlichen Diskurs einen “neuen Impuls” geben.
Diesen Impuls — im Sinne seines Mandanten — erhofft sich Verteidiger Daum von einer Stellungnahme des Bank- und Kapitalmarktrechtsexperten Prof. Dr. Frank Schäfer. Ihn hat der Verteidiger beauftragt, sich die vertraglichen Bestandteile zum Finanzgeschäft Omega 55 anzusehen und nachzuvollziehen, wer welche Rechte und Pflichten hatte. Daum las die Stellungnahme vor, die dicht und technisch gehalten war, wie alle bisherigen Gutachten und Einschätzungen des Prozesses.
Zwei Fragen sollte der Sachverständige bezüglich des Geschäftes Omega 55 klären (vereinfacht und sinngemäß wiedergegeben):
Frage 1)
Waren die vertraglichen Regelungen geeignet, zum 31.12.2007 Eigenkapital der HSH in Höhe von ca. 128 Mio € freizusetzen — Eigenkapital, das durch Kreditgeschäfte gebunden war?
(die HSH bediente sich dafür eines Risikotransfers mittelbar zur BNP Paribas in Teil-A von Omega 55)
Frage 2)
Stehen einem wirksamen Risikotransfer zum 31.12.2007 bestimmte vertragliche Vereinbarungen entgegen (durch Teil-B von Omega?
Der herangezogene Spezialist Prof. Schäfer kam nach seinem Durcharbeiten der Vertragswerke, diverser Nebenabreden und Arbeitspapiere zu Omega 55 schließlich zu dem Ergebnis:
Antwort zu 1)
Teil-A führt zu einem wirksamen Risikotransfer hinsichtlich des Kreditportfolios der HSH auf die BNP Paribas zum Jahreswechsel 2007 und setzt damit Eigenkapital der HSH frei (wie von den Vorständen unterschrieben).
An dieser Aussage änderten auch die vertraglichen Nebenabreden zum Geschäft wie der so genannte “unwind letter” nichts, so der Kapitalmarktrechtsexperte. Die Nebenabreden begründeten lediglich “Kostenfaktoren” für die HSH, wenn die sich doch entschließt, im Januar 2008 Teil-B nicht abzuschließen, wie es vereinbart worden war.
Antwort zu 2)
Für das zentrale Risiko des B-Teils von Omega 55 tritt keine Rückverlagerung des Risikos von der BNP Paribas auf die HSH Nordbank ein.
d.h. so der Experte, “dass der Abschluss von Teil-B einem wirtschaftlich durch Teil-A vereinbarten Risikotransfer nicht entgegensteht”.
Missverständnis oder Bewertungsfrage
An diese externe Expertenlesart knüfte das Gericht eine kurze Diskussion. Richter Volker Bruns konstatierte, dass für einen wirksamen Riskotransfer die HSH Nordbank Teil-A hätte ein Jahr lang laufen lassen müssen – gemäß den Regeln der Bankenaufsicht – und nicht nur wenige Monate (in der Vorstandsvorlage wird angedeutet, dass Teil-A bis April 2008 von der HSH gekündigt wird)
Und: Dass das Gericht bisher keine Möglichkeit in den Verträgen sieht, wie der Verlustschutz für die HSH in Teil-A durch die BNP Paribas über den 1.1.2008 hinaus dauern kann. Denn entweder verliert die HSH den am 21.12.2007 abgeschlossenen Verlustschutz, weil sie Teil-B abschließt (Stichwort: Kreislaufgeschäft) oder, weil sie Teil-B nicht abschließt (dann tritt BNP Paribas vom Geschäft zurück und der Verlustschutz erlischt).
Alles verstanden?
Spätestens hier schwirrt einem der Kopf vor Details — nicht nur mir. Anwalt Daum fragte dann auch nach … ob man sich in dem Punkt einig sei, dass durch Teil-B das Risiko nicht zurückgenommen werde wegen der Vertragsdetails … wirklich geklärt wurde dieser Punkt nicht.
Letzlich sind es rechtliche Fragen, die die Richter und die Schöffen zu bewerten haben und die in den Urteilsspruch einfließen werden.
Das war aber nur der Auftakt dieses 51. Tages vor Gericht. Der Hauptteil gehörte den beiden Wirtschaftsprüfern von KPMG Niels M. und Michael K.