Hans Berger: “Für mich ergaben sich keine Zweifel.”
In freier Rede
Hans Berger war der erste, der zum Untreue-Vorwurf in einer vorbereiteten Rede Stellung genommen hatte. Das war gleich nach Prozessauftakt am 26. Juli 2013.
8 Monate später, am 24.März, 48. Verhandlungstag, hat der Ex-Vorstandschef dieses Statement ergänzt – in freier Rede. Diesmal war seine Stimme fest, fast angriffslustig – ganz anders zum Prozessauftakt, da sprach er leise, mit teils brüchiger Stimme.
Intensiv beschäftigt mit Omega 55
“Herr Vorsitzender, hohes Gericht”, begann Berger. Dann erklärte er, wie er an die Vorstandsvorlage herangegangen war, als er sie am 19. Dezember 2007 erhielt. Erst habe er sie sich “oberflächlich” angesehen, sich dann mit der Entscheidung der Risikoabteilung und den Empfehlungen der Neue-Produkte-Neue-Märkte Abteilung (NPNM) auseinandergesetzt, um “mögliche Bedenken und Empfehlungen zu entdecken” – um das anschließend bei der “intensiven Beschäftigung” mit der Vorstandsvorlage berücksichtigen zu können.
HSH trägt Risiko nicht allein
Aus der Vorstandsvorlage habe sich klar das Ziel des Geschäftes ergeben – es ging um eine Verbesserung der Eigenkapitalstruktur um 128 Millionen Euro. Die 3 Bausteine des Geschäftes waren Hans Berger dabei vertraut (die RWA, der STCDS, die Laufzeitfaszilität), sagt er. Die Laufzeitfaszilität kam für Hans Berger einer Eventualverbindlichkeit gleich, woraus sich für ihn die Frage stellte: “Wer trägt zu welchem Zeitpunkt welches Risiko?” Aus der Einschätzung der Risikoabteilung las er als Antwort heraus: “Die HSH ist nicht die alleinige Risikoträgerin.”
Risikorückübernahme war nicht erkennbar
Für ihn war dagegen “aus der Struktur heraus nicht erkennbar, dass Risiken zurückgenommen wurden“. (Gerichtsgutachter Hultsch hatte gegenteiliges aus der Vorstandsvorlage gelesen und Omega als Kreislaufgeschäft bezeichnet).
Rechtsabteilung hat geprüft, sonst Verstoß
Der Ex-Chef hatte insgesamt “keinen Anlass an der Richtigkeit der Aussagen” in der Vorlage zu zweifeln, vor allem nicht an den Hinweisen, dass die Rechtsabteilung den Deal geprüft hat.
Welche Motivation sollten die Mitarbeiter auch haben, hier etwas falsches wiederzugeben, fragte Berger rhethorisch. Er sah keinen Anlass, das “zu hinterfragen”. Eine falsche Wiedergabe wäre ja “ein Verstoß gegen Bankregularien”. Für ihn erfüllte Omega das Ziel, das Eigenkapital zu verbessern.
Keine Zweifel an Kompetenz seiner Mitarbeiter
Seine Angestellte, die Juristin Vera S., lobte Hans Berger ausdrücklich. Während ihrer Befragung und auch später im Prozess hatten manche Verteidiger versucht, die Juristin als unglaubwürdig hinzustellen. Sie hatte nämlich sinngemäß ausgesagt, dass sie nicht froh darüber war, was in der Vorstandsvorlage hinsichtlich der Rechtsprüfung stand, weil sie Omega nämlich nicht untersucht hatte. Vera S. galt als “kompetente Gesprächspartnerin”, sagte Berger jetzt. Und deswegen hatte er “keine Veranlassung, am Urteil der Rechtsabteilung zu zweifeln“. Die Rechtsabteilung fiel organisatorisch unter das Ressort des Vorstandschefs, und damit unter Bergers Führung.
Überschaubare Risiken
Für Berger betrug das Risiko aus Omega maximal 400 Millionen Euro – das entspricht der Höhe der Verbriefung, der STCDO aus Teil-B. Für ihn war dieses Risiko “vertretbar” und “schlüssig” dargestellt, auch wenn die Angabe zum ökonomischen Eigenkapital fehlte. Das sollte aber erstens nachgeliefert werden, und zweitens war es durchaus üblich, dass diese Angabe fehlte, wenn noch wichtige Details verhandelt wurden.
Erträge übersteigen Kosten
Die Wirtschaftlichkeit von Omega 55 habe Berger vor dem Hintergrund der “strategischen Zielsetzung” gesehen – der Freisetzung von 128 Millionen Euro Eigenkapital. Um zu beurteilen, ob sich der Deal rechnet, habe Berger wie folgt kalkuliert (sinngemäß): Bei den Margen (2007) bei der Immobiliensparte von etwa 1% und bei der Sparte Commodity/Finance von etwas über 1% komme er auf Erträge aus dem 2 Mrd. Kreditportfolio von rund 20 Millionen. Diese gegen die “Verpackungskosten” gesetzt (Managementkosten für Teil-B, der Verbriefung mit 2 Zweckgesellschaften), ergab sich für ihn ein “positiver Ertrag” – für Teil-A.
Für Teil-B hat Hans Berger über Zins-Näherungswerte den in der Vorlage genannten 3-Millionen-Ertrag überschlagen und für plausibel befunden.
Stundenlang Vorstandsvorlage geprüft?
Wie lange er zugebracht hat, die Vorstandsvorlage so zu studieren, sagte Hans Berger nicht. Es müßten aber Stunden (2?) gewesen sein, weil die Vorlage in Englisch und wenig eingänglich geschrieben ist und Nachdenken/Rechnen Zeit braucht.
Omega war nur eine von mehreren parallel laufenden, kapitalentlastenden Geschäften Ende 2007, erinnerte sich Hans Berger, und die wiederum gehörten zu einem ganzen Maßnahmenbündel, damit die HSH möglichst kapitalkräftig dasteht. Die Bedingungen, die die Vorstände mit solchen Vorstandsvorlagen unterschrieben, “mussten dann später (von den Mitarbeitern) umgesetzt und die Verträge entsprechend abgefasst werden”.
Nach eineinviertel Stunden stellte sich der 64-jährige dann den Fragen des Gerichts — “vollumfänglich”. Sein Anwalt Otmar Kury wirkte dabei auf mich angespannt und äußerst konzentriert.
Vorstände haben Omega nicht miteinander besprochen
Der Vorsitzende Richter Tully wandte sich verhalten aber zielstrebig an den Aussagewilligen und fragte ihn unter anderem, wer bei Eigenkapitalmaßnahmen denn die Hauptverantwortung hatte? Weil es dabei um Eigenkapital ging, gab es grundsätzlich eine Gesamtvorstandsverantwortung, so Berger. Im Vorstand sei Omega 55 dabei nicht “konkret besprochen worden”. Es sei nicht Gegenstand von Vorstandssitzungen gewesen, sich über einzelne Geschäfte auszutauschen, sagte Berger sinngemäß.
Worin er den Sinn des Teil-B gesehen habe (die komplexe Verbriefung)? Es war ein “wirtschaftlich verbundenes Geschäft”, so Berger, wobei Teil-B aus Sicht der BNP Paribas wohl “notwendig war”, um ihre Single Tranche CDO zu platzieren. Berger hielt das damit verbundene Risiko für vertretbar.
Tullys Störgefühl beim Risiko für die BNP Paribas
Auf die Frage, welches Risiko die Gegenseite BNP Paribas mit Omega 55 genau eingegangen sei, bekam Tully keine für ihn zufriedenstellende Antwort. Bei Richter Tully blieb ein “Störgefühl”, dass er mit Beisitzer Bruns in der Mittagspause “besprechen werde”. …
Für Berger war es ein Eilbeschluss
Für den Ex-Vorstandschef war die Vorstandsvorlage — anders als für Hartmut Strauß — jedenfalls ein “Eilbeschluss“.
Warum die Ursache des Debakels bei Omega nie thematisiert worden sei, fragte Tully? (Laut Vorstandsvorlage beinhaltete die Verbriefung von Teil-B keine “financials”, also keine Bankwertpapiere. Tatsächlich aber waren welche drin, 3 fielen offenbar aus – mit den bekannten Folgen.) Berger ist – laut seiner Antwort – nicht davon ausgegangen, dass “financials” in Omega drin sind und er habe sofort die interne Revision im September 2008 damit beauftragt zu untersuchen, was los war, also gleich, nachdem er von den Schwierigkeiten erfahren hat.
Die ominöse Laufzeitfaszilität
Anschließend löcherte Richter Tully den Banker noch mit Fragen zur Laufzeitfaszilität (Bestandteil des B-Teils), welchen Sinn sie hatte, wie sie wirkte, wo die Risiken lagen, wie lange sie lief … und dann war die Zeit um und der Gerichtstag zu Ende. Fortsetzung der Befragung folgt. Wenn Berger will.
(Das Wiedergegebene ist eine Auswahl aus meinen handschriftlichen Notizen und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.)
Wenn ich Ihren blog lese, gewinne ich den Eindruck, dass sich der Vorstand mit dem Vorgang nur routinemäßig befasst hatte – keine Abstimmung mit den Vorstandskollegen, keine Entwicklung eines Störgefühls im Dunst der heraufziehenden schweren Finanzkrise. Lehmann gab es zwar noch nicht, aber in Deutschland warf das IKB-Desaster schon seine tiefen Schatten. Ich erinnere mich noch, wie neue Stichworte damals schon die Börse beunruhigte: CDOs, Zweckgesellschaften, Rhineland Funding etc. Ich vermute, dass die Entscheidungen überall so leichthin gelaufen sind, weil das Gefühl für das Risiko schwindet, sobald es alle so machen und die Fachabteilungen ja „alles“ geprüft haben. Als Ressortchef der Rechtsabteilung hätte Herrn Berger allerdings die Überlastung der Abteilung auffallen und wenigstens kritische Rückfragen erzeugen müssen. Jedoch Fehlanzeige. So harmlos begann die schwerste Finanzkrise in Deutschland, obwohl an den Kapitalmärkten eigentlich schon alle Antennen ausgefahren waren.
Reicht das Verhalten von Herrn Berger, um anzunehmen, dass bei dieser Form der Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewendet wurde? Für einen Funktionär wahrscheinlich. Aber der Vorstand war nicht als Funktionär angestellt, noch wurde er als solcher bezahlt. Er sollte nämlich „unternehmerische Entscheidungen“ treffen und auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft handeln. Hat er aber nicht, wenn sich jetzt herausstellen sollte, dass die Information gerade nicht ausreichend war.
Zum Vergleich denke ich immer an einen persönlich haftenden Gesellschafter: Wie hätte der in einer solchen Situation gehandelt? Zumindest hätte er in so einem Kapitalmarktumfeld sehr kritisch geprüft, er würde Erklärungen anfordern und am Ende die Finger von so einem Geschäft lassen. Die Peitsche des Existenzrisikos hätte ihn geführt. Genau diese fehlte dem Vorstand. Immerhin erkennt Herr Berger ja wohl die Gesamtvorstandsverantwortung an und versteckt sich nicht hinter anderen „verantwortlichen“ Ressortvorständen. Aber ob ein persönliches, honoriges Verhalten ausreicht, um eine Pflichtverletzung zu beseitigen, möchte ich doch bezweifeln. Was meinen Sie?
Ich sehe es ähnlich wie Sie. Und Sie benutzen ein Wort, was es meiner Meinung nach perfekt trifft: routinemäßig. Routinemäßig, als würde draußen die Sonne scheinen und das Meer rauschen und nicht gerade ein unheimliches Sausen das Herannahen eines Orkans ankündigen, routinemäßig, nicht aus der Ruhe zu bringen, haben die Vorstände Omega 55 behandelt, im Eil- und Umlaufverfahren, ohne dass für die Bank so wichtige Geschäft – wie sie sagen – untereinander zu besprechen und zu bewerten. Das zeugt von einer bestimmten Einstellung.
Es gibt da diesen Volksmund, der die Verantwortung von Führungskräften und Unternehmern exakt auf den Punkt bringt: Vertrauen ist gut, Kontrolle besser, (weil überlebenswichtig für Firmen). Kontrolliert und hinterfragen im positivem Sinne haben die Vorstände ihre Mitarbeiter offenbar nicht oder eher unzureichend, obwohl es zumindest in London schon länger knirschte. Sie aber haben vertraut – das ist ihre Argumentationslinie. Führung geht für mich anders.
Und es gibt einen anderen Volksmund, der auch hervorragend passt: Schuster, bleib bei deinen Leisten.
Und beim Votum des Bereichs Neue-Produkte-Neue-Märkte hat Herr Berger schon nichts Auffälliges gefunden ? Nichts was eine Nachfrage oder eine Auflage für die Genehmigung hätte ratsam erscheinen lassen ?
“Aufgrund der Dringlichkeit des Antrages und der sehr kurzfristig zu erfolgenden Umsetzung erstellen wir dieses Votum auf Basis von noch nicht final vorliegenden Dokumenten. Der Dokumentationsprozsss wird in Abstimmung rnit dem UB Recht bis zum Handelstag abgeschlossen.”
“Eine vollständig korrekte Bewertung der Transaktion würde bedeuten, dass alle Einzelkomponenten und -ereignisse vollständig in den Systemen der HSH abgebildet und bewertet werden müssten. Dies ist zum einen technisch und prozessual nicht möglich, zum anderen kann der Portfolio CDS der HSH Sub, welcher sich sich im Wert der Shares wiederspiegelt, nicht korrekt bewertet werden. Vor dem Hintergrund der kurzen Laufzeit der Transaktion (bis Mitte April 2008) wird eine darstellbare Abbildung gewählt, die das Marktrisiko bestmöglich repliziert.”
http://www.strate.net/de/dokumentation/Strafanzeige-HSH-Ergaenzung07.pdf
Fehlende Unterlagen – Nicht vollständige Abbildung – Nicht bewertbar
Es gab in dieser Zeit mehrere ähnliche Transaktionen – das ist im Prozess ja bereits zur Sprache gekommen. Aber auch daraus resultierende Zeitdruck, die fehlenden Unterlagen und die Hinweise auf eine unvollständige Abbildung und Bewertung sind doch wohl eher Warnsignale als ein “Business as Usual”.
Weniger überraschend ist die Tatsache, dass zu diesem Zeitpunkt Verbriefungstransaktionen von HSH immer noch betrieben wurden bzw. darin investiert wurde – der formelle Beschluss, das Credit-Investment-Portfoilo abzubauen, wurde schliesslich erst im September 2008 gefasst (= Projekt “Wetterfest”).
Hans Berger hat sich zu diesen Einschränkungen von NPNM und den generellen Widersprüchen in der Vorstandsvorlage nicht geäußert. Er hat vielmehr mehrfach betont, dass in der Vorlage und in den beiden beigefügten Einschätzungen (NPNM und Risiko) immer wieder Sätze zu finden sind, die zeigen, dass die Rechtsabteilung Omega geprüft hat. Und darauf hat er vertraut.
Hartmut Strauß, der vor Berger gesprochen hat (Bericht kommt noch) ist sehr wohl auf Einschränkungen in der Vorlage eingegangen, z.B. bei der Risikoeinschätzung, wo auch stand, dass die Zeit für die Einschätzung sehr kurz bemessen war (ein Wochenende!!). Das kommentierte Strauss sinngemäß: Die zeitliche Enge war nicht ungewöhnlich (also normal?) und nicht als inhaltliche Einschränkung zu sehen, sondern eher als schwierige Arbeitssituation. Dennoch haben die Vorstände auf die Mitarbeitermeinung vertraut, obwohl sie wußten, dass ihre Leute öfter mal zu wenig Zeit haben für … ja, wofür? Nachdenken? Tiefer graben? Kollegenrat und -statements einholen? Verträge auszugsweise lesen? …
Die Entscheidungen “im Schweinsgalopp” scheinen der Normalfall in der HSH geworden zu sein – das Gericht wird aber sicher einen objektiven Maßstab anlegen und prüfen, ob damit noch den Sorgfaltspflichten für Vorstand einer Banken Aktiengesellschaft genüge getan wurde und mag das hohe Tempo noch so branchenüblich gewesen sein.
Zeit für die Mitarbeiter – wofür ? Zum Beispiel…
– die Transaktion vollumfänglich verstehen
– die Verträge lesen
– die Annahmen überprüfen
– die Auswirkungen auf die Risikosituation der Bank gründlich abschätzen
und für die Abbildung in den Systemen vielleicht etwas anderes als den notdürftigsten Workaround entwickeln und umsetzen.
– die Einschätzungen über den eigenen Bereich hinweg austauschen, diskutieren und Wechselwirkungen erkennen
usw…
Aber vielleicht wollte der Vorstand der HSH ja auch genau das gar nicht, weil dann eine schnelle Zustimmung eher unwahrscheinlich gewesen wäre.