Gerichtsgutachter im HSH-Prozess: “Erstaunlich, so ein Geschäft!“
Die bisherigen Prozesstage mit dem sachverständigen Gerichtsgutachter Christoph Hultsch, Wirtschaftsprüfer, sind ein Hin und Her zwischen Richtern, Verteidigung und Gutachter. Die Verteidigung versucht weiterhin, den Aussagen des sachverständigen Gutachters Hultsch mithilfe von Prozessanträgen zu widersprechen und ihn zu entlassen.
Verteidigung will Gutachter absägen
Die Verteidigung von Hartmut Strauß kritisiert: Der Sachverständige Hultsch hätte die Vertragsunterlagen zu Omega 55 nicht sehen dürfen, weil sie den Vorstände bei ihrer Unterschrift auch nicht vorlagen. Außerdem stand es nicht im Auftrag des Gerichts an den Gutachter, diese Unterlagen zu verwenden.
Die Verteidigung von Dirk Jens Nonnenmacher, Heinz Wagner, schlägt in die gleiche Kerbe: Die Unterlagen, die der Gutachter herangezogen hat, stellten seiner Auffassung nach eine Auftragserweiterung dar. Das ginge nicht. Außerdem sei das Gutachten ein Gemeinschaftsgutachten und kein selbst vom Sachverständigen verfasstes.
Die 8. Strafkammer habe dem Sachverständigen zu viele Informationen gegeben, hakt dann noch die Verteidigerin von Bernhard Visker, Gaby Münchhalffen, ein. Das habe so nicht im Sachverständigenauftrag des Gerichts gestanden. Und deshalb habe der Sachverständige jetzt vor Gericht die Gelegenheit, „weitschweifiger“ über den Sachverhalt zu reden, als im Auftrag steht.
Richter wirkt angefasst
Dem Vorsitzenden Richter Marc Tully wurden die immer gleichen Argumente der Verteidigung irgendwann zu bunt. Er hört sich die Widersprüche an, wies sie aber zurück, allerdings nicht so souverän wie sonst: „Das legen Sie mir jetzt in den Mund!“, antwortet er einmal sichtlich gereizt.
Die Verteidigung könne den Aussagen des Sachverständigen doch auch nach seiner Anhörung widersprechen, findet er. Es könne außerdem methodisch nicht falsch sein, wenn ein Sachverständiger, der Fehler aufdecken muss, bestimmte Vertragsunterlagen heranzieht.
Tully gehe es darum, die „Verhaltenspflichten des Vorstandes zu ergründen, wenn sie in so ein Finanzgeschäft investieren“. Deshalb wolle er den Gutachter weiter befragen.
Das konnte er aber erst, nach dem er gemeinsam mit seinen beisitzenden Richtern per Kammerbeschluss alle Anträge auf Entlassung des Gutachters zurückgewiesen hatte.
10:45 Uhr darf Gutachter endlich wieder reden
Als erstes nannte der Sachverständige Christoph Hultsch alle fünf Personen, mit denen er bestimmte Sachverhalte des Gutachtens fachlich diskutiert hatte (die Verteidiung hatte das verlangt, weil sie es als Makel des Gutachtens ansieht, dass Hultsch sich mit Kollegen beraten hat; er sei deshalb nicht unabhängig und habe das Gutachten auch nicht selbst erstellt).
Nachteile und Mängel der Kreditvorlage
Dann listet er die Nachteile und Mängel der Kreditvorlage auf. Vorher betonte er noch, dass jeder Vorstand bei der Bewertung von Kreditvorlagen eigene Tatsachenerhebungen anstellen müsse.
Als Mängel und Nachteile der Vorstandsvorlage für Omega 55 hat der Gutachter unter anderem festgestellt — auf Basis von Soll-Normen einer Vorstandsvorlage:
– bei Geschäften wie Omega, das im Finanzsprech eine „Verbriefung“ ist, sind die Interessen der Gegenseite zu analysieren, hier der BNP Paribas; das geschah nicht
– es fehlten die Kosten der Transaktion, sodass eine wirtschaftliche Bewertung nicht möglich ist
– der genannte, mögliche Ertrag von 3 Millionen Euro wird ohne Erklärung und damit nicht nachvollziehbar für den Vorstand dargestellt
– wirtschaftlich unvorteilhafte Kriterien werden nicht genannt, obwohl es sie gibt – wie die Übernahme aller Risiken im Vertrag zu Omega 55
– bei zeitlich engen Entscheidungen gehört auch ein „Term Sheet“, auf dem das Geschäft mit den wichtigsten Daten skizziert ist, zur Vorlage – das Term Sheet fehlte
– Nebenabreden müssen in der Vorstandsvorlage erwähnt sein, auch das war nicht der Fall, obwohl es einen so genannten „side letter“ gab, in dem stand, dass die BNP Paribas Teil-A nur dann abschließe, wenn die HSH Teil-B eingeht
– Angaben zum ökonomischen Eigenkapital fehlen ebenso, dh. wie viel HSH-Eigenkapital für Omega 55 als Sicherheitspuffer reserviert werden musste – dabei ist das eine zentrale, betriebswirtschaftliche Entscheidungsgröße, die die Vorstände hätten wissen müssen und was ein erheblicher Mangel der Vorstandsvorlage bedeute
Hultsch: Das ökonomische Eigenkapital sei ein erster Anker, um die Risiken zu beurteilen; spätestens hier hätten die 6 Vorstände nachfragen müssen (das haben sie nachweislich nicht getan, hat die Zeugenbefragung ergeben)
– es fehlen Angaben zur Bilanzierung bzw. die gegebenen sind falsch; die Liquiditätsfaszinlität LFZ hätte wie ein Kredit ausgewiesen werden müssen (nach IAS-39 oder hier), bewertet zum Marktpreis der dahinter liegenden Kredite, und nicht nur „unter dem Strich“ der Bilanz als Eventualschuld, einer Art Dispokredit (IAS-37).
Geschäft unter Kaufmännern nicht nachvollziehbar
Der Gutachter ging am Ende sogar soweit zu sagen:
„Es ist erstaunlich, dass so ein Geschäft unter Kaufmännern zustande gekommen ist!“
Außerdem hätte die ungewöhnliche Struktur des verschachtelten Omega nur mit Zustimmung des Aufsichtsrates und Kreditausschusses genehmigt werden dürfen! Die Vorstandsvorlage enthält dazu keine Angabe.
„Die Vorstände hätten die fehlenden Infos nachfassen müssen“, sagte Gutachter Hultsch abschließend. Dazu seien sie aufgrund ihrer Tätigkeit als Geschäftsleiter gesetzlich und aufsichtsrechtlich verpflichtet.
Zu den wichtigsten Aussagen des Gutachtens lesen Sie bitte hier weiter: “Omega war für HSH von vornherein nur nachteilig.“
“Die Verteidigung von Hartmut Strauß kritisiert: Der Sachverständige hätte die Vertragsunterlagen zu Omega 55 nicht sehen dürfen, weil sie den Vorstände bei ihrer Unterschrift auch nicht vorlagen.”
Was sagt der Verteidiger?
Den Vorständen hätten bei ihrer Unterschrift die Vorlagen auch nicht vorgelegen?
Der Richter muss offensichtlich einmal klären, was die Unterschrift eines Vorstands unter einem Vertrag ausdrücken soll und welche Aufgaben einem Vorstand obliegen. Wenn Vorstände ohne Kenntnis der Vorlagen unterschreiben, dann muss ihnen bewußt sein, dass sie im Zweifel das eigene Todesurteil unterschreiben.
Aber es ist bekannt, dass oberhalb von Kassel ein eigenartiges Rechtsempfinden bei Gerichten vorzufinden ist.
Der Richter ist gut beraten die Angeklagten zu fragen, wie diese denn glauben die höheren Gehälter rechtfertigen zu können. Er sollte aber auch nicht vergessen zu prüfen, in wie weit der Aufsichtsrat über diese Praktiken informiert war und weshalb er nicht handelte.
Was Dr. Nonnenmacher angeht hätte es gewiss den Verantwortlichen schon eher auffallen müssen, dass er möglicherweise nicht über das nötige Fachwissen zur Führung einer Bank verfügte. Der Lebenslauf hätte dies schon ausdrücken müssen.
@Vertragsunterlagen:
Ich denke, dass sich die Richter dem Verantwortungsbereich des Vorstandes noch zuwenden werden und auch eben jener Frage, die Sie aufwerfen: Was drücken die Vorstände mit ihrer Unterschrift eigentlich aus? Eine sehr kluge wie einfache und mit die entscheidende Frage. Das führt, was Richter Tully auch schon aufgeworfen hat, zum Motiv für Omega 55.
Hier nochmal die Sorgfaltspflichten von Vorständen laut KWG
Ich denke mal, dass die Richter darauf brennen, die Angeklagten selbst befragen zu dürfen/können. Bisher schweigen sie, wollen keine Fragen beantworten.
@Aufsichtsrat
In der Tat bleibt die Verantwortung des AR bisher unerwähnt im Prozess, obwohl diesen auch Schuld am Misswirtschaften der HSH trifft. In welchem Umfang haben aber auch nicht die PUAs in Hamburg und Schleswig-Holstein wirklich ans Tageslicht gebracht. War auch schwierig, die Politik sitzt ja selbst mir drin, im AR.
@Nonnenmacher
Jeder Bankvorstand wird letztlich von der Bankenaufsicht BAFIN “bestellt”. Ohne deren Zustimmung wird kein Banker Vorstand, oder Geschäftsleiter laut KWG. Wenn Sie deshalb finden, das Dr. Nonnenmacher das nötige Know How für den Vorstandsposten gefehlt hat, würde das Fragen zur Kompetenz der Bafin aufwerfen. Die Frage darf man ja aber auch mal stellen … finde ich.
Die Ausführungen des Gutachters waren dann wohl eindeutig.
So eindeutig, dass es für die Angeklagten ja wohl doch noch eng werden kann, wie Sie ja auch in dem Artikel geschrieben haben, der heute im Handelsblatt erschienen ist:
“Zu Beginn des Prozesses hatte Richter Tully geklärt, er sei geneigt, den Tatbestand der Untreue weit auszulegen. Für ihn sei es schon Untreue, wenn sich die Vorstände aus Fahrlässigkeit nicht über die Risiken des von ihnen im Eilverfahren genehmigten Finanzgeschäftes informiert und es nicht umfassend geprüft hätten – ein Vermögensschaden müsse nicht entstanden sein. Daran gemessen könnte es für die Angeklagten eng werden.”
Sieht für mich jedenfalls so aus. Aber ich bin Ökonomin und keine Juristin. Das ist nur meine Schlussfolgerung nach den Zeugenaussagen, den bisherigen Gutachteraussagen, eigenen Recherchen und der Interpretation bestimmter Gesetze.
Ich stütze mich da auf Dr. Tully. Der hat sinngemäß letztens gesagt: auch Laien haben eine Rechtsauffassung, eine Rechtsmeinung, und die dürfen sie äußern. Voila!