“financials” oder “corporates”: Ist das wirklich die Frage?
Der heutige Verhandlungstag, 19. Mai, könnte vielleicht Klarheit in die in den vergangenen Monaten immer wichtiger gewordene Unterscheidung zwischen “financials” und “corporates” im Prozess bringen.
Im Laufe des Prozesses haben zwei der Angeklagten darauf bestanden, sie seien davon ausgegangen, dass im zweiten Teil von Omega 55 (der Verbreitung) nur Staatsanleihen stecken sowie Anleihen und Kredite von “corporates”, also von Unternehmen. Auf keinen Fall aber Anleihen und Kredite von “financials”, also von Banken.
So steht es in der Vorstandsvorlage.
In die Verbriefung hatte die BNP Paribas aber doch Banktitel sortiert, die später enorme Verluste verursachten. Dafür aber könnten die Vorstände doch nichts, weil sie das nicht unterschrieben hätten — so ähnlich lautet die Argumentation von Ex-Risikovorstand Hartmut Strauß und Ex-HSH-Chef Hans Berger in ihren persönlichen Statements.
Schutzbehauptungen der Vorstände
Die Staatsanwaltschaft sagt dazu: Das sei eine Schutzbehauptung. Um ihren Standpunkt zu untermauern, hatte sie an einem früheren Verhandlungstag über einen Beweisantrag die Vernehmung von Dr. Thomas Emde, Anwalt der internationalen Anwaltskanzlei Freshfields, gefordert. Die HSH hatte Freshfields 2009 beauftragt, den Geschäftsbetrieb der Nordbank auf mögliche Managementfehler hin zu untersuchen. Dabei streifte Emde auch Omega 55.
Die Staatsanwaltschaft hatte zudem am 52. Verhandlungstag den im Ausland lebenden (Ex) HSH-Mitarbeiter Steven P. zitiert. Dieser hat die Vorstandsvorlage zu Omega 55 geschrieben. Staatsanwalt Maximilian Fink sagte, P. würde bekunden, dass unter “corporates” AUCH “financials” zu verstehen sind und dass diverse Dokumente aus der Nordbank diese Aussage stützten.
ISDA-Definitionen – die Bibel für Derivate
Was nicht verwunderlich wäre, denn das sehen die Musterverträge der ISDA so vor. Die ISDA ist die International Swaps and Derivatives Association. Das ist laut Deutscher Bundesbank eine Vereinigung, die sich dafür einsetzt, den außerbörslichen Handel mit Derivaten – und dazu zählen Verbriefungen wie Teil-B von Omega 55 – sicherer und transparenter zu machen.
Die Standardverträge der ISDA liegen fast allen weltweit gehandelten Derivaten zugrunde, sind quasi ihre Bibel. Es ist also davon auszugehen, dass diese ISDA-Musterverträge auch bei Omega 55 verwendet wurden.
Nur Staaten und Nicht-Staaten
Die ISDA unterscheidet aber nicht zwischen “corporates” und “financials”. Sie spricht in ihren “Credit Derivates Definitions 2003” (Section 2.1.) lediglich von “sovereigns”, also von Staaten, die Derivaten zugrunde liegen, und von Nicht-Staaten, “non sovereigns”. Damit sind generell Unternehmen gemeint, zu denen auch Banken gehören.
Dass also in der Vorstandsvorlage von Omega 55 “financials” nicht extra erwähnt sind könnte also auch daran liegen, dass sich die Londoner HSH-Kollegen an die Gepflogenheiten, d.h. an die Standards der ISDA, gehalten haben, als sie Teil-B von Omega auf’s Papier brachten.
Nach eigener Aussage sind den Vorständen Derivate wie Teil-B von Omega 55 vertraut. Damit ist davon auszugehen, dass sie auch die Definitionen der ISDA kennen.
Vielleicht entwirrt Anwalt Emde diese Widersprüche heute im Gerichtssaal.
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