Urteil ohne Rechtsfrieden: So begründete das Gericht seine Freisprüche.
Der Vorsitzende Richter der 8. Strafkammer, Marc Tully, fackelte nicht lange, als er pünktlich 10 Uhr mit seinen Richterkollegen und den beiden Schöffen den Gerichtssaal betrat. Er ließ die Fotografen und Kameramänner ihren Job erledigen, dankte ihnen und bat sie dann hinaus. Um daraufhin unverzüglich aufzustehen und ohne Umschweife zu verkünden:
Die Angeklagten werden vom Vorwurf der Untreue in besonders schwerem Fall bzw. der Bilanzfälschung freigesprochen.
Was für eine Überraschung. Tully machte dann auch gleich am Anfang eines klar, dass die Berufsrichter mit Eröffnung der Klage 2013 die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft als bestätigt ansahen, dass die Kammer aber nach der Hauptverhandlung das jetzt anders sehe. (Fachlich geschulten Ohren und Kenner des wortgewandten Richters ist hier Tullys Unterscheidung zwischen Berufsrichtern und Kammer aufgefallen) Jetzt also sehe die Kammer es so:
Die Selbstüberschätzung der Landesbanker und -politiker.
Am Anfang seiner Urteilsbegründung führte der Richter die Zuhörer in die Zeit um das Jahr 2007 und was sie für die Landesbank von Hamburg und Schleswig-Holstein mit sich brachte – nicht nur die Finanzkrise. Die HSH bereitete sich auf den Börsengang vor und wollte zu den Top 10 (!) der Banken-Welt aufsteigen.
Retrospektiv war dieser Plan, so Richter Tully mit Blick auf die Angeklagten, wohl ein “Ausfluss einer nicht unerheblichen Selbstüberschätzung” – auch bei den Eigentümern, den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein bzw. ihren verantwortlichen Politikern.
Denn die HSH befand sich damals bereits in einer schwierigen Situation. Das Kreislaufgeschäft Omega 55 sollte diese Situation mildern helfen, konstatierte Tully trocken. Um gleich darauf klar zu stellen:
Gesamtvorstand trug Verantwortung.
Für die Genehmigung des Finanzgeschäftes waren “sämtliche Vorstandsmitglieder zuständig”, die Angeklagten trugen eine “gemeinsame Verantwortung”. Dirk Jens Nonnenmacher hatte stets geltend zu machen versucht, mit seiner Unterschrift das Geschäft lediglich “zur Kenntnis” genommen zu haben. Die Gesamtvorstandsverantwortung leitete das Gericht aus der Art des Kredites ab. Es war ein “Großkredit”, dem die Vorstände bei Omega 55 zustimmten, “das liegt so auf der Hand”. Und das sei auch allen Vorständen klar gewesen, erklärte der Richter trocken, dass sie nicht nur “zur Kenntnis nehmen” sondern “genehmigen”.
Haben sie aber nun pflichtwidrig gehandelt? Tully erklärt dazu, dass die Sorgfaltspflichten und Verantwortlichkeiten von Vorstandsmitgliedern nach § 93 AktG eingeschränkt werden durch die so genannte “Business-Judgement-Rule“. Danach muss es haftungsfreie unternehmerische Handlungsspielräume geben, um Chancen und Risiken abzuwägen, z.B. dann, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung “vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.”
Pflichtverletzungen ja – Vorstände haben sich unzureichend informiert …
Haben die Vorstände also auf Basis angemessener Information gehandelt? (um die Chancen und Risiken wahrhaftig abzuwägen?) Nein, stellte die Kammer fest. Zumindest für den ersten Teil von Omega 55 nicht, mit dem das Eigenkapital aufgehübscht werden sollte, die Vorstände haben sich nicht ausreichend informiert.
Die Vorstände haben sich weder bei der Rechts- noch bei der Risikoabteilung darüber informieren lassen, ob mit Omega 55 eigentlich das erreicht wird, was beabsichtigt ist: nämlich, das Eigenkapital durch einen Bilanztrick aufzubessern, also auf dem Papier, nicht aber in Wirklichkeit, um am Ende des Jahres gut dazustehen.
… bei den Risikofachleuten.
Die Einschätzung des Risikofachmanns der Bank, der nur ein Wochenende dafür Zeit hatte, sah das Gericht als “völllig unzureichend” an, weil darin nur das Verlustrisiko untersucht wurde, nicht aber die rechtlichen Folgen oder die Auswirkungen auf das Rechnungswesen der Bank.
Das heißt für das Gericht: Die Vorstände haben sich förmlich unzureichend informieren lassen im Sinne des 4-Augen-Prinzips. Sie hätten Nachfragen müssen.
… bei den Kollegen von Neue-Produkte-Neue-Märkte.
Auch an der Einschätzung der Kollegen der Abteilung Neue-Produkte-Neue-Märkte NPNM ließen die Richter kein gutes Haar. Aus dieser Einschätzung sei nicht zu erkennen, dass sich die Kollegen mit beiden Teilen von Omega 55 “auseinandergesetzt haben”. Der Vorstand hat sich folglich auch hier formell unzureichend informieren lassen, ob die beabsichtigte “Entlastung” des Eigenkapitals eintritt.
Die Chancen des Geschäfts wurden also “unsorgfältig geprüft”. Und die Vorstände wußten, dass sie unzureichend informiert waren, erklärte Tully. Also Vorsatz.
Ziel von Omega 55 nicht erreicht.
Die Strafkammer geht zudem davon aus, dass Teil-A von Omega 55 das Eigenkapital der HSH nicht aufgebessert hat, es keine wirtschaftliche “Entlastung” gab, wie Strafverteidiger Reinhard Daum mithilfe eines Extragutachtens in seinem Plädoyer argumentiert hatte.
Das eigentliche Ziel von Omega 55 wurde folglich nicht erreicht – weder wirtschaftlich noch aufsichtsrechtlich, wie Tully im Weiteren erklärte.
Juristischer Augensand.
Ein anderes Argument der Verteidigung bezeichnete Richter Tully als “juristischen Augensand”. Einige Verteidiger hatten argumentiert, die BNP Paribas habe gegen Treu und Glauben verstoßen, weil sie die HSH aus Teil-B von Omega 55 in die Pflicht nahm – und 2008 zwischenzeitlich hunderte Millionen Euro von der HSH verlangte. Dieses Argument könne die Kammer nicht nachvollziehen, denn die BNP Paribas habe vertragsgemäß gehandelt.
Risiken kamen in die HSH zurück.
Richter Tully arbeitete sich anschließend zu der Frage vor, was Teil-B von Omega 55 eigentlich bilanziell für ein Geschäft war. Eine “Kreditzusage”, wie die HSH es in ihrer Bilanz gesehen und die Vorstände erklärt hatten? Oder war es doch ein “Derivat”, also ein Wertpapier?
Teil-B war ein Derivat, so Richter Tully. Das aber ist anders in der Bilanz zu erfassen, als es die HSH getan hat. Und: Teil-B von Omega war ein “Konstrukt, dass die Risiken auf die HSH zurückleitete“, also ein Kreislaufgeschäft – linke Tasche, rechte Tasche.
Omega 55 sinn- und nutzlos für HSH.
Und so fällte der Strafrichter zusammenfassend ein vernichtendes Urtei: Das Geschäft Omega 55 war objektiv für die HSH Nordbank “sinnlos, wertlos und nutzlos” – in etwa so, wie der Kauf einer Heizdecke auf einer Butterfahrt, so Tully.
Vermögensschaden von etwa 30 Millionen Euro.
Auch den letzten Tatbestand der Untreue – den Vermögensschaden – bejahten die Richter.
Den Vermögensschaden, den die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift genannt hatte – 158 Millionen Euro – bezeichnete Richter Tully als “irrelevant”. Entscheidend sei vielmehr ein möglicher Schaden im Zeitpunkt der “Vermögensverfügung”, hier sei das der 24.1.2008.
An diesem Tag wurden die Verträge zu Teil-B von Omega unterzeichnet. An diesem Tag war bereits ein Wertverlust in Höhe von etwa 30 Millionen Euro eingetreten. Das Gericht schloss sich den Berechnungen des Wirtschaftsmathematikers Martin Hellmich an, dem dritten Gutachter im Prozess.
Die Diskussion um “financials” oder “corporates” in der Verbriefung von Teil-B beendete das Gericht mit einem “im Zweifel für die Angeklagten”. Es seien letztlich Zweifel geblieben, was in der HSH darunter verstanden wurde. Aber selbst ohne Bankanleihen oder -zertifikate, eben “financials”, betrug der Wertverlust in Teil-B zum 24.1.2008 rund 25-30 Millionen Euro.
Nur schwerwiegende, evidente Pflichtverletzungen zählen.
An dieser Stelle angelangt fragte Richter Tully rhetorisch, warum dann Freispruch, wo jeder Untreue-Tatbestand erfüllt sei?
Er antwortete mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Danach müssen “Untreue-Tatbestände auf klare und deutliche (=evidente) Fälle pflichtwidrigen Handelns beschränkt werden”. Das hatte das Bundesverfassungsgericht 2010 entschieden (siehe u.a. hier). Und der Bundesgerichtshof engte kurz danach die Verurteilungen wegen Untreue weiter ein auf Fälle “gravierender, schwerwiegender” Pflichtverletzungen, so Tully. Ein Glück für die Angeklagten. Ohne diese Urteile wäre die Entscheidung des Landgerichts vielleicht anders ausgefallen.
Deutlich (evident) sei die Pflichtverletzung im Falle der Ex-HSH-Vorstände nicht, weil sie bei Omega 55 von hervorragenden Ratings ausgegangen waren, von Bestnoten, bei denen sie nicht von einem Totalausfall ausgehen mussten.
Und gegen einen “schwerwiegenden Pflichtverstoß” spreche, dass die Vorstandsvorlage zu Omega “jedenfalls Hinweise” enthalten habe, dass sich die Rechtsabteilung mit dem Geschäft “beschäftigt hat”.
Letztlich entschieden die Richter bei der rechtlichen Abwägung, dass “die Pflichtverstöße der Angeklagten nicht hinreichend schwerwiegend waren”. Das aber bedeute nicht, im Zweifel für die Angeklagten, sagte Tully. Sondern im Zweifel für die Freiheit, “in dubio pro libertate”.
Die Fehlentscheidungen der Angeklagten jedenfalls haben nicht die “Grauzone in Richtung Strafbarkeit” überschritten, so Tully.
Da war doch noch was … ach ja: Bilanzfälschung!
Den Vorwurf der Staatsanwaltschaft, Joachim Friedrich und Dirk Jens Nonnenmacher, hätten vorsätzlich die Bilanz zum 31.3.2008 falsch dargestellt, streifte Tully am Ende nur kurz und schnell. Die Bilanz wies im März 2008 einen 81-Millionen-Gewinn aus statt eines 31-Millionen-Verlustes, was einen Unterschied von 110 Millionen Euro ergibt und eine gänzlich andere wirtschaftliche Aussage.
In der Pressemitteiliung des Gerichtes zum Urteil heißt es später: Die Abweichung habe sich angesichts des Gesamtumfangs der Geschäfte der HSH im Volumen von etwa 200 Milliarden Euro als von “untergeordneter Bedeutung” erwiesen. Für eine Verurteilung müsste aber eine “erhebliche Abweichung” im Sinne der §400 AktG eingetreten sein.
Ab welcher Größenordnung die nachweislich fehlerhafte Bilanz der HSH “erheblich” gewesen wäre, konkretisierte Tully nicht. Und er erklärte auch nicht, die Vorstände hätten ihre Pflichten im Fall der Bilanzfälschung nicht verletzt und nicht gewußt, dass die Mitarbeiter Murks verbucht haben. D.h im Umkehrschluss: Das Gericht hat die Bilanzfälschung nicht verneint, sieht sie aber als zu untergeordnet an, um sie strafrechtlich zu ahnden.
Urteil ohne Rechtsfrieden.
Am Ende seiner mit fester Stimme vorgetragenen Urteils-Begründung, in der Tully den Ex-Bankern die Leviten gelesen und dir Vorwürfe der Staatsanwaltschaft im Grunde erneut bestätigt hatte, wandte sich Tully noch einmal direkt an die Angeklagten. Den Rechtsfrieden sieht der kompetente Richter mit dem Urteil selbst wohl nicht Genüge getan.
Denn er sagte zu den Männern: Der Rechtsfrieden wäre eher hergestellt worden, wenn Sie größere Demut und Einsicht in die Unzulänglichkeit ihrer Arbeit gezeigt hätten.
Tully bedankte sich zu guter Letzt bei den Beteiligten für ein “höchststreitiges Verfahren, das viel Zeit, Geld und Nerven” gekostet habe. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse.
(Pressemitteilung des Landgerichts zum Urteil)
Das schriftlich ausformulierte Urteil wird noch einige Zeit auf sich warten lassen. Bei 62 Verhandlungstagen könnte der Umfang beträchtlich sein. Fachleute sprechen von bis zu 500 oder sogar bis zu 1.000 Seiten Urteilsbegründung …
Foto: Nikolaus Herrmann
Liebe Frau Parthum,
vielen Dank, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, diesen Prozess zu begleiten und zu dokumentieren.
Ihre persönliche Meinung wird zwar an vielen Stellen Ihrer Berichte deutlich – vielleicht kann man von keinem Standpunkt aus immer neutral bleiben: über einen zusammenfassenden Kommentar von Ihnen würde ich mich trotzdem sehr freuen.
Schönen Sommer
Ein treuer Leser
Liebe Frau Parthum,
dafür, dass Sie über einen langwierigen Prozess mit teilweise schwieriger Materie kontinuierlich (meist) sachgerecht berichtet haben, trotz persönlicher Anfeindungen, gebührt Ihnen Dank. Besonders, weil die Großen der Medienlandschaft sich nicht die Mühe machten, über ein Thema, das juristisches Neuland berührte zu berichten. Halten Sie weiter die Fahne des freien Journalismus hoch und ich werde ein dankbarer Leser Ihrer Berichte sein. Bleiben Sie auch bei dem Revisionsverfahren am Ball.
Grüße von einem häufigen Prozess- und Kantinenbesucher
Das mache ich, ich bleibe dran. Und Danke, dass Sie mit “dranbleiben”.