Omega 55 kein Großkredit? Zeuge P.: “Das muss wohl übersehen worden sein.”
Die Beweisanträge der Verteidiger bestimmen zunehmend die Verhandlungstage, denn die wichtigsten Zeugen scheinen gehört zu sein.
Rechtsanwalt Heinz Wagner, Verteidiger von Dirk-Jens Nonnenmacher, hatte kürzlich beantragt, das Protokoll der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung von Steven P. zu verlesen, damit das Gericht die Aussage des Analysten verwerten kann. Steven P. war seit Februar 2007 Mitarbeiter der HSH Nordbank in London und war der Mann, der die Vorstandsvorlage zu Omega 55 geschrieben hat. Seinen Vorgesetzten Marc S. hatte das Gericht gleich zu Prozessbeginn tagelang vernommen. Steven P. dagegen lebt im Ausland und kann deshalb nicht gegen seinen Willen in Deutschland vor ein Strafgericht geladen werden.
Gegen das Verlesen der Vernehmung hatten sich Gaby Münchhalffen und Norbert Gatzweiler ausgesprochen. Und auch der Verteidiger von Joachim Friedrich, Wolfgang Prinzenberg, will Steven P. persönlich auf der Zeugenbank sehen — er hatte deshalb einen Beweisantrag gestellt.
Die Berufsrichter der 8. Strafkammer wiederum scheinen sich von einer persönlichen Befragung des Ex-HSH Mitarbeiters aus London keine neuen Erkenntnisse zu versprechen, beraten aber wohl, ob er geladen werden soll. In dieser Situation aber darf das Vernehmungsprotokoll nicht als Urkunde verlesen werden. Nur wenn das Verlesen dazu dient, diese strittige Frage zu klären, ob der Zeuge doch vor Gericht erscheinen soll (§251 III StPO) – zur Entscheidungs- nicht Urteilsfindung – ist ein Verlesen zulässig. (Das Strafrecht ist akribisch.)
Und deshalb lasen die 3 Berufsrichter an diesem 51. Verhandlungstag dann doch nacheinander und ziemlich schnell 2 Stunden lang das Protokoll der staatsanwaltschaftlichen Befragung von Steven P. von Ende 2011 vor, damit sich manche der Prozessbeteiligten eine Meinung bilden können: Ladung oder Lesung. Was für die Anwälte eine langweilige Prozedur war, weil sie die Vernehmung natürlich kennen, war für uns Prozessbeobachter eine spannende Erfahrung, weil uns dadurch ein seltener Einblick in eine staatsanwaltschaftliche Vernehmung gewährt wurde.
Soweit ich bei diesem Schnelllesemarathon mitschreiben konnte, scheinen mir folgende 7 Punkte aus der Vernehmung von Steven P. wichtig.
1) Omega 55 bedeutete für ihn vor allem die „STCDO“, die Verbriefung in Teil-B. Dass über diesen Teil-B das Risiko in die HSH zurückkommt „war die Transaktion.“ Sein Vorgesetzter Marc S. hatte „viele Gespräche darüber geführt“. Das „Neuverpacken und Recyceln“ von Vermögenswerten war zu dieser Zeit „weit verbreitet“, erinnert sich Steven P. Und: „… dass etwas hochriskant ist, kann man immer nur im Nachhinein sagen.“
2) Von Anfang an seien beide Teile von Omega 55, Teil-A und Teil-B, bekannt gewesen und diskutiert worden – von seinem Vorgesetzten Marc S. u.a. mit den Vorständen Joachim Friedrich und Peter Rieck, etwa über Telefonkonferenzen und eMail-Korrespondenz. Damit „keine Verwirrung auftritt“, habe er in der Vorstandsvorlage dann Teil-A UND Teil-B „berücksichtigt“. Seine Informationen zog er aus der Präsentation von BNP Paribas, mehr Infos hatte er nicht. An spezielle Dokumente für Teil-B kann er sich nicht erinnern.
3) Die Rechtsabteilung sei von „Anfang an involviert“ gewesen, sie hätte die Präsentation der BNP Paribas über Omega 55 gehabt. Und obwohl der Zeuge Steven P. in der Vorstandsvorlage schreibt, die Rechtsabteilung hat die Transaktion „gründlich geprüft“, gibt er in der Vernehmung zu, dass er sich an keine eMail mit einer formalen Genehmigung von Omega 55 durch die Rechtsabteilung erinnert; das sei vielmehr ein „fortlaufender Prozess“ gewesen.
4) Teil-A und Teil-B sollten eigentlich zeitlich zusammen abgeschlossen werden (wohl Ende 2007), aber dann war es „zeitlich zu eng“. Deshalb wurden 2 (?) „side letters“ verhandelt, die Teil-A an Teil-B knüpften und die die BNP Paribas geschrieben hatte. Diese „side letters“ wurden unter den Juristen der HSH (offenbar Vera S. und Heiko L.) „heftig“ diskutiert und in Teilen letztlich geändert.
5) Warum die wichtige Risikogröße des ökonomischen Eigenkapitals in der Vorstandsvorlage fehlt? Weil dazu das Portfolio der STCDO (Teil-B) beim Schreiben der Vorlage hätte bekannt sein müssen, war es aber nicht, so Steven P. (Mit dem ökonomischen Eigenkapital beziffern Banken das mögliche Verlustrisiko eines Geschäftes. Übersteigt das ökonomische Eigenkapital dabei eine bestimmte Höhe, darf das Geschäft nicht abgeschlossen werden, weil es zu riskant ist.)
6) Auf der Vorlage wird der Deal auch nicht als Großkredit oder Organkredit gekennzeichnet. „Das muss wohl übersehen worden sein“. (Bei einem Großkredit hätte das ökonomische Eigenkapital zwingend berechnet werden müssen, auch innerhalb der HSH Nordbank.)
7) Manches Geschriebene in der Vorstandsvorlage habe er aus anderen Vorlagen (z.B. für Omega 52) übernommen, sprich: kopiert. So habe sich ein fachlicher Fehler eingeschlichen – ein Fehler, den die Risikofachleute in ihrer Einschätzung zur Vorstandsvorlage auch benennen. In dem fehlerhaften Satz und damit Sachverhalt will der Sachverständige der Verteidigung, Glüder, allerdings ein wesentliches Merkmal der Transaktion Omega 55 erkannt haben (so mein Eindruck in Glüders Vernehmung am 39. Verhandlungstag).
Steven P. meinte auch sich zu erinnern, dass die Vorstände die Transaktion Omega 55 „gelobt haben“, was sonst nicht üblich war.
Nach diesem Lesemarathon legte das Gericht eine Pause ein. 14 Uhr ging es weiter.
Nach der Mittagespause teilte der Vorsitzende Richter Tully dann den Entschluss des Gerichts mit: Die Ladung von Steven P. als Zeuge wird zurückgewiesen.
Damit bliebe nur noch die offizielle Verlesung des Protokolls der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung von Steven P. als Urkunde im Hauptverfahren. Darüber debattierten die Prozessbeteiligten im Anschluss an den Gerichtsentschluss. Letztlich erklärten sich zwei Verteidiger mit der Verlesung einverstanden, Heinz Wagner und Otmar Kury; Norbert Gatzweiler und Gaby Münchhalffen blieben bei ihrer Ablehnung. Gegen die Verlesung sind auch die Verteidiger Wolfgang Prinzenberg und Reinhard Daum (siehe auch 47. Verhandlungstag). Eine Pattsituation — 4 gegen 2. Um aber das Vernehmungsprotokoll offiziell als Urkunde verlesen zu dürfen, müssten alle Verteidiger und zudem die Staatsanwaltschaft zustimmen, gemäß §251 StPO.
Das dürfte den Verteidigern aber nicht geschmeckt haben, dass der Zeuge erklärte, dass die Rückverlagerung des Risikos “die Transaktion war”, insbesondere nicht den Verteidigern der Herren Rieck, Strauß und Friedrich. Wie Sie schreiben, wurden die beiden letzteren ja schon einmal durch die Aussage des Group Risk Managers im Dezember belastet. Mehr noch, die Vorstände Rieck und Friedrich scheinen ja sogar in die Überlegungen zur Strukturierung eingebunden gewesen zu sein. Damit hat der Londoner Zeuge die Analyse des Gutachters Hultsch (“Omega 55 war ein Kreislaufgeschäft und eignete sich deshalb nicht dazu, das Eigenkapital bezüglich möglicher Verluste zu entlasten”) nur bestätigt. Kein Wunder, dass die Verteidiger die Aussage des Gutachters verhindern wollten.
Unverständlich ist natürlich, dass bei der Fertigung der Kreditvorlage die Großkrediteigenschaft des Deals übersehen wurde. Allerdings meine ich, dass dies einem geschulten Vorstand hätte auffallen und wenigstens Rückfragen auslösen müssen. Damit wäre die Berechnung des ökonomischen Eigenkapitalbedarfs als Grundlage zur Kreditentscheidung Verpflichtung gewesen. So wie die Berücksichtigung des ökonomischen Eigenkapitals im Risikobericht (Geschäftsbericht 2007, S. 72) der HSH Nordbank kommuniziert wird, ist dies in den Kreditrichtlinien der Bank verankert. Auch in diesem Fall wird die Analyse des Gutachters Hultsch bestätigt (“Angaben zum ökonomischen Eigenkapital fehlen, obwohl das eine zentrale, betriebswirtschaftliche Entscheidungsgröße ist”).
Ich finde, es wird immer deutlicher, dass allein die Eigenkapitalentlastung im Fokus stand. Durch alles andere musste man sehenden Auges durch. Alles in Allem müsste sich ja jede Menge Stoff für eine kritische Befragung durch die Staatsanwälte angesammelt haben.
Wenn nur das enorme Risiko “mathematisch aufgerüsteter Produkte” durch Prozess und Urteil ins Bewusstsein gerückt werden, werden Banken und Politik damit sicherlich vorsichtiger umgehen. Was meinen Sie und “Bescheidwisser” dazu?
Bei ihrer letzten Einschätzung/Hoffnung bin ich mir nicht sicher. Als 2008 die Bankenwelt implodierte, war die Politik derart aufgeschreckt, dass sie jedes Finanzprodukt prüfen und vieles verbieten wollte. Was ist von diesem Tatendrang geblieben? Wenig. Die Großbankmanager zocken wieder, betrügen andere, bereichern sich und ihre “besten Köpfe” und Aktionäre auf Kosten der Volkswirtschaften. Verboten worden ist keines von den mathematisch aufgerüsteten “Produkten”. Das Casino ist längst wieder geöffnet. Bestes Beispiel ist doch die Deutsche Bank.
Ins Bewusstsein rücken, ja, führt das zu Verhaltensänderungen? Ich sehe ehrlich keine.
Ich hoffe auf die junge Generation, ihre geistige Unabhängigkeit und ihr Verantwortungsbewußtsein.
Zwar haben die EU-Politiker jetzt die Bankenunion beschlossen und damit auch einen Plan zum Abwickeln maroder Banken ohne die Steuerzahler. Wie ernst es den Nationalstaaten damit aber ist, werden wir sehen, wenn die erste Großbank wackelt. Einige Fachleute sehen diesen Tag gar nicht so weit entfernt von uns …
Ich sehe jetzt schon eine Entwicklung. Zwei aktuelle Beispiele zeigen, dass sich etwas bewegt:
1. Die Auflösung des schweizerischen Bankgeheimnisses und die Steuerstrafbarkeit haben durch die Entwicklung der vergangenen Jahre bis zum Urteil gegen Hoeneß schon zu einer Verhaltensänderung geführt, bei Banken wie bei einschlägigen Steuersündern.
2. Das Urteil im Fall Deubel (Nürburgring-Ausbau) zum Vorwurf der Untreue zeigt, wie die Rheinzeitung gestern schrieb, „dass in dieser Republik die Aufarbeitung des Fehlverhaltens auch einflussreicher Persönlichkeiten funktioniert – anders als oft behauptet. Freie Presse, unabhängige Staatsanwälte, souveräne Richter: Unterm Strich sorgt deren Arbeit halt doch oft dafür, dass Fehler Folgen haben – auch für “die Großen”“. Der gestrige Kommentar der FAZ zu diesem Fall hinsichtlich der Strafbarkeit beim Einsatz von Steuergeld und staatlichen Bürgschaften lautete ähnlich.
Warum sollte nicht auch die Aufarbeitung des HSH-Prozesses ein weiterer Anstoß zu Änderungen sein? Haftung von Aufsichtsräten, Risikotragung bei Entscheidungen von Vorständen anstelle einseitiger Bonuszahlungen und Abfindungen, kritischer Einsatz von Finanzderivaten.
Die freie Presse, dazu zählt auch dieser Blog, kann diese Entwicklung nur unterstützen.
Ich gebe Ihnen Recht, es bewegt sich etwas. Veränderungen brauchen einfach Zeit. Ich bin wohl zu ungeduldig. Gut für die Gesellschaft wäre es nun, wenn sich aufbauend auf die Urteile und öffentlichen Diskussionen tatsächlich das Verhalten im Finanzsektor ändert.
Spannend wird in diesem Sinne auch die Strafanzeige von Carsten Maschmeyer gegen die Bank Sarasin, wo er sich als uninformierter Millionenanleger gibt.
In meinen Augen ist jede Einlassung der Vorstände, dass sie von Teil B der Omega 55 (der Rückverlagerung der Risiken) nichts gewusst haben, vollständig unglaubwürdig. Darüber hat es unter den Vorständen mit Sicherheit Gespräche gegeben – wenn auch vielleicht nirgendwo schriftlich dokumentiert.
Zum Thema “mathematisch aufgerüstete Produkte”: Verboten wurde zwar nichts, aber der Reformeifer hat sich bei den Verbriefungstransaktionen schon erheblich ausgetobt. Allerdings eher in die Richtung, die komplizierten Produkten mit noch komplexerer Regulierung begeben. Mehr Vorschriften, mehr Eigenkapital,..ggf. auch mehr Transparenz. Ob die Probleme damit wirklich in den Griff zu bekommen sind, darüber kann man sicher streiten. Fast jeder Beitrag in diesem Blog belegt ja, dass bei der Omega 55 Transaktion schon die damals bestehenden Vorschriften missachtet worden sind.
Die Initiative “True Sale International” beklagt sich jedenfalls schon jetzt:
“Wenn sich die KfZ-Versicherungsprämien am riskantesten Autofahrer orientieren würden, hätte keiner mehr Spaß am Autofahren. Und ähnlich verhält es sich mit der Verbriefungsregulierung. Regulierungen, die auf US-Subprime zugeschnitten sind, werden dazu führen, dass deutsche Auto-ABS vom Markt verdrängt werden.
Die auf dem Tisch liegenden Vorstellungen zur Behandlung von Verbriefungen unter der Solvency II, den Baseler Vorstellungen zur Veränderung des Verbriefungsrahmenwerks sowie zur LCR tragen der Qualität von über 90 % der europäischen Transaktionen bislang in keinster Weise Rechnung; ganz zu Schweigen von den deutschen Auto-ABS.”
http://www.true-sale-international.de/leistungen/veranstaltungen/veranstaltungskalender/einzelansicht/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=946&cHash=858ce071880b2840ebcc6e4d8896777a
Bekanntlich war ja Herr Glüder Gründungsgeschäftsführer der True Sale International GmbH. Aber auch die aktuelle Besetzung ist interessant: Geleitet von einem Kfw-Vorstand sitzen darin auch Vertreter der Bundesregierung und ein aktueller Vorstand der HSH Nordbank, Matthias Wittenburg
“Matthias Wittenburg, geboren am 5. Juni 1968 in Lüneburg, absolvierte eine Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Dresdner Bank AG in Hamburg und ein Studium zum Master of Business Administration an der University of Wales.
Er arbeitete in verschiedenen Bereichen der Syndizierung sowie des Investment- und Corporate Banking zunächst bei der Dresdner Bank AG, ab 1996 bei Lehman Brothers und ab 1999 bei Dresdner Kleinwort. Von 2009 bis 2012 verantwortete Matthias Wittenburg als Bereichsvorstand das Geschäftsfeld Corporates & Markets Client Relationship Management der Commerzbank AG. ”
https://www.hsh-nordbank.de/de/corporation/unternehmensprofil_3/vorstand_5/matthias_wittenburg.jsp
Woher soll bei diesen Konstellation und bei Personen mit diesem Background der Wille kommen, irgendetwas anders zu machen ?
Der Wille bleibt: Macht sichern, Geld sichern. Auf Kosten von anderen. Deshalb setze ich auf die nächste Generation, die hoffentlich verstehen wird oder verstanden hat, dass das Verhalten von Bankern der Vergangenheit und Gegenwart langfristig eine Gesellschaft sprengt.
Ich kann mir vorstellen, dass das bewusst so gesteuert wurde. Wäre Teil B noch in 2007 aktiviert worden, hätte man bilanziell wegen der Rückverlagerung schon aufsichtsrechtliche Gefahren gesehen. So aber (mit Closing 24.01.2008) konnte Teil B “guten Gewissens” 2008 zugeschrieben und abgewickelt werden. Skrupel müssen allerdings latent mitgespielt haben, s. Ausschnitt des Protokolls vom Tag 30 (2.12.2013):
“Die Idee dahinter: Die Bank verkauft ihre Problempapiere (das Kreditersatzgeschäft) an eine Zweckgesellschaft in einer Steueroase. Die Bank gewährt dann dieser Gesellschaft eine Art Dispositionskredit, um Verluste auszugleichen. Damit ist die Bank ihre Problempapiere los, ohne den „Dispositionskredit“ bilanzieren zu müssen. Das ganze hat aber einen Haken. Die Verluste schlagen später doch auf die Bilanz durch.
HSH-Vorstände entscheiden gegen Bilanztrick — noch
Der promovierte Zeuge berichtet, dass in den Telefonkonferenzen dieser legale Bilanztrick als „Bilanzkosmetik“ eingestuft und „die Idee nicht weiter verfolgt wurde“.
Teilnehmer dieser Telefonkonferenzen waren der Zeuge selbst, Risikovorstand Hartmut Strauß, Kapitalmarktvorstand Friedrich und der Sprecher der Luxemburger HSH-Tochter Securities S.A., Rainer H.”