Die Bürde des “juristischen Neulands” im HSH-Prozess.
Diesen 47. Verhandlungstag werden die Prozessbeteiligten nicht so schnell vergessen.
An diesem Tag zeigte der Vorsitzende Richter Marc Tully erstmals Nerven. Er hatte sich am 42. Verhandlungstag darauf eingelassen, den Verteidigern und Angeklagten eine erste rechtliche Einschätzung zum Untreuevorwurf zu geben, eine persönliche, wie Tully betonte, ohne sie mit den Gerichtskollegen abgestimmt zu haben; er finde, die Entscheidung (zu Omega 55) konnte nur durch alle 6 Geschäftsleiter getroffen werden.
Verteidiger fordert Erklärung vom Gericht
An diese Einschätzung knüpften die Verteidiger jetzt an, allen voran Heinz Wagner (Verteidiger Nonnenmacher). Denn die erste, persönliche Rechtsauffassung des promovierten Richters — für die es kein juristisches Vorbild gibt, da sich noch nie ein Gesamtbankvorstand für ein Finanzgeschäft vor Gericht verantworten musste — hat dem Verteidiger einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wagners Verteidigungsstrategie schien bisher in diesem “juristischen Neuland” zu sein, Nonnenmacher als “Transaktionsbeteiligten” aufzustellen und nicht als “Entscheidungsträger”. Siehe Post vom Verhandlungstag. Wagner mochte deshalb von der Kammer in einem ersten Beweisantrag wissen, warum Tully denke, dass der Gesamtbankvorstand verantwortlich sei, und z.B. HSH-interne Kompetenzregeln nicht griffen. Tully nahm es zur Kenntnis, ließ sich erstmal nicht herausfordern.
Der “wesentliche” Zeuge Steven P.
Zwei weitere Beweisanträge später forderte Anwalt Wagner die Verlesung der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung des früheren HSH-Mitarbeiters Steven P., um zu beweisen, dass die Rechtsabteilung von Omega 55 mehr wußte, als einige der Mitarbeiter vor Gericht ausgesagt haben. Steven P. war in London mitverantwortlich für die Vorstandsvorlage, er hat sie geschrieben (– und soll bei den staatsanwaltlichen Ermittlungen erklärt haben, die Rechtsabteilung war umfassend eingebunden bei Omega). Sein Mandant habe auf die Rechtsabteilung jedenfalls vertraut, so Wagner.
Verteidigerin Münchhalffen und Verteidiger Gatzweiler widersprachen diesem Ansinnen umgehend. Sie wollen den Mitarbeiter P. als “wesentlichen Zeugen” vor Gericht hören und nicht seine Vernehmung vorgelesen bekommen. Die Anwälte Wolfgang Prinzenberg und Reinhard Daum schlossen sich dieser Auffassung an.
Tully lässt sich auf Rechtsdiskurs ein
Richter Tully antwortete auf dieses Ansinnen — allerdings eher ablehnend. Selbst wenn der Zeuge P. der Rechtsabteilung (Anmerkung: vor allem der Anwältin Vera S.) alles erzählt hat, würde das an seiner Grundannahme nichts ändern. Allein die Tatsache, dass keine autorisierte Rechtsprüfung von Omega 55 dokumentiert ist (ihm fehle jedenfalls bisher der Anhaltspunkt dafür), könnte ein unüberwindliches Defizit der Vorstandsvorlage sein.
An diesem Statement entspann sich dann ein hart geführter Schlagabtausch zwischen Verteidigern und dem Vorsitzenden Richter.
Die (ge)wichtige Rolle der Rechtsabteilung
Tully erklärte dabei sinngemäß, dass im Groben von Bankvorständen erwartet werde, dass sie Plausibilitätsprüfungen anstellten, und wenn sie dies nicht tun, dass darin ein Pflichtverstoß liegen könnte; dass dem Gericht eine rechtliche Aufarbeitung der Verträge durch die HSH-Rechtsabteilung fehle und dass nach “unserer vorläufigen Auffassung eine Entlastungswirkung des Eigenkapitals nicht eingetreten” ist (Anm.: das aber war das erklärte Ziel der Vorstände für Omega).
Verteidiger Otmar Kury brachte daraufhin einen subtilen Gedanken ein. Wenn — sinngemäß — tatsächlich keine schriftliche Stellungnahme der Rechtsabteilung vorläge, hätte jemand zum Bericht gebeten worden sein können. Und wenn man das weiterführt kommt man zur Frage: Hat die Rechtsabteilung vielleicht ein Motiv, eine fehlerhafte Betrachtung nicht mehr in der Weise zu erinnern … ? Was wäre berichtet worden, fragte Anwalt Kury. “Das wissen wir nicht.”
Richter Tully und Verteidiger argumentierten daraufhin mehrmals hin und her, bis Tully den Gedanken an sich heranzulassen schien und zu einer Erklärung anhob, da aber unterbrach ihn Verteidiger Reinhard Daum (von Hartmut Strauß) zweimal mit einem für mich nicht zu verstehenden Einwurf.
Richter beendet Diskurs abrupt und sichtlich genervt
Der Vorsitzende Richter schüttelte daraufhin genervt den Kopf, was ich bei ihm noch nie gesehen hatte, brach abrupt den zweimal begonnenen Satz ab und gab das Wort an Verteidiger Wagner, damit dieser mit einem weiteren Beweisantrag fortfahren konnte.
Ein stiller Eklat. Ein sichtlich verärgerter Richter.
Nur wenige Minuten später beendete Tully den Diskurs mit den Worten: “Sie haben meine vorläufige Auffassung, wir diskutieren und dann erhalten sie den Kammerbeschluss.” Dann war Pause. 10 Minuten für alle.
Ein ausgesprochen verärgerter Kammervorsitzender
Nach der Pause stellte Tully als erstes klar: Er sei nicht verpflichtet, seine vorläufige Auffassung zu diskutieren und er erwarte, dass man ihm dann nicht “reinquatscht”. Allein das letzte Wort sprach Bände über den Gemütszustand des Juristen, der gewöhnlich ironisch und geschliffen formulierend spricht. “Das hat mich ausgesprochen geärgert”, ergänzte Tully.
Er fand aber keine Gnade. Verteidiger Norbert Gatzweiler forderte den Vorsitzenden der Kammer auf, eine seiner Bemerkungen richtig zu stellen, die der Verteidiger offenbar als Vorverurteilung einstufte. Gatzweiler jedenfalls habe seinem Mandanten abgeraten, einen Befangenheitsantrag gegen den Richter zu stellen, meinte der Strafverteidiger großzügig. Tully hatte zuvor in einem Nebensatz die Belastung der Haushalte der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein durch ihre Landesbank thematisiert. Wie genau, ist mir entgangen. Jedenfalls klang Tullys Stimme trocken, als er sinngemäß sagte, ein eventueller Schaden für die Länderhaushalte sei für den Prozess nicht relevant.
Tatsache ich allerdings, dass die Nordbank sehr wohl ihre Eigentümer, die beiden Bundesländer, belastet — allein durch viermaliges Aufstocken des Eigenkapitals der Bank in Milliardenhöhe zwischen 2008 und 2012 durch die Eigentümerinnen, durch Garantiezusagen und letztlich das Einlösen von Garantiemilliarden gegenüber den beiden Ländern. Aber auch der enorme Wertverlust der Beteiligungen an der HSH Nordbank bedeutet für die Länder einen enormen Schaden — einen Vermögensschaden. Das sind Tatsachen. Und Tatsachen darf meiner Ansicht nach auch ein Richter im Gerichtssaal ansprechen, wenn es um die HSH Nordbank geht.
In gewohnter Größe schloss Tully jedenfalls diese Episode mit den Worten: “Und jetzt habe ich mich genug aufgeregt.”
Befragung des Parteigutachters bringt wenig Neues
Das rechtliche Hick Hack ereignete sich aber erst am Nachmittag, nachdem das Gericht erneut Dr. Dieter Glüder, IKB-Vorstand, gehört hatte, den Gutachter des Verteidigers Norbert Gatzweiler, und damit Peter Riecks. Der beisitzende Richter Volker Bruns hatte auch dieses Mal die Lizenz zum Fragen. Ihm ging es vor allem darum: Wann die Risiken der HSH auf die BNP Paribas übergegangen sind (Teil-A), wann die HSH Risiken von der BNP Paribas übernommen hat (Teil-B) und wann die BNP Paribas unter welchen Voraussetzungen bei der HSH die Liquiditätsfaszilität in Höhe von 400 Millionen Euro in Anspruch nehmen durfte (eine Art Dispokredit als Bestandteil von Teil-B von Omega 55).
Nicht beantwortete Fragen
Oft schien Richter Bruns mit den Antworten des Parteigutachters nicht zufrieden zu sein, sagte “… vielleicht ist die Frage zu kompliziert …” und “… darum geht es mir nicht …” und “… das beantwortet meine Frage nicht …” Mir ging es oft ähnlich, was zum Teil aber auch daran lag, dass Richter Bruns Fragetechnik sehr viel Konzentration beim Publikum erfordert.
Was blieb von der vierten Vernehmung des Parteigutachters bei mir hängen? Die Vorstände “müssen darauf vertrauen, dass die Vorstandsvorlage vernünftig gemacht ist” und “kundige Leser” erkennen die strukturellen und wirtschaftlichen Zusammenhänge der Vorlage. Na fein, da können sich der Gesetzgeber und die Bankenaufseher ja einiges an Regelwerk ersparen.
Zeuge sucht Blicke der Verteidigung
Interessant zu beobachten war, dass Dr. Dieter Glüder nach fast jeder Antwort an Richter Bruns mit seinem Blick nicht beim Gericht blieb, das links von den Zeugen sitzt, sondern den Kopf nach rechts zu den Verteidigern drehte und zu ihnen blickte — den Blickkontakt zu seinem Auftraggeber Norbert Gatzweiler konnte er aber — wenn überhaupt — nur selten herstellen, denn dieser sortierte über eine dreiviertel Stunde lang Akten. Der IKB-Vorstand wirkte auch nervös; er zuckte bei seinen Antworten leicht mit dem Kopf — ein Verhalten, das ich bei ihm außerhalb des Zeugenstandes nicht beobachtet habe.
Keine weiteren Fragen
Bis auf den Verteidiger von Dirk Jens Nonnenmacher, Dr. Heinz Wagner, stellt keiner der Strafverteidiger eine Frage an den Parteigutachter, als das Fragerecht an sie übertragen wurde. Selbst Anwalt Norbert Gatzweiler, der den Sachverständigen für seinen Mandanten Peter Rieck (Ex-Immobilienvorstand) beauftragt hatte, wollte nichts Weitergehendes wissen.
Gesetzliche Entschädigung für IKB-Vorstand?
Am Ende übergab Anwalt Gatzweiler noch einen Kostenantrag für seinen Parteigutachter mit der Bitte an das Gericht, ihm eine gesetzliche Entschädigung zu gewähren für seine Tätigkeit in der Hauptverhandlung. Zur Erinnerung: Nach eigener Aussage hat Dr. Glüder, Vorstand bei der IKB, rund 100 Stunden an seinem Gutachten gearbeitet bei einem Stundensatz von 400 Euro netto, macht schätzungsweise 48.000 Euro brutto, die er seinem Auftraggeber zumindest in Rechnung gestellt haben dürfte.