War Akteneinsicht des Parteigutachters rechtswidrig?
Norbert Gatzweiler, immerhin Professor seines Faches, konnte es nicht lassen, an diesem 42. Verhandlungstag mindestens eine viertel Stunde lang darauf hinzuweisen, dass es rechtlich statthaft sei, dass ein Verteidiger einem Dritten, z.B. einem Experten, Einsicht in viele der für den Prozess relevanten Akten gewährt. Das hatte er nämlich mit dem IKB-Vorstand Dieter Glüder so gehandhabt, den er als Gutachter angesprochen hatte. Siehe Blogeintrag: “Parteigutachter Glüder: “Omega war Ende 2007 für HSH ein günstiges Geschäft.“
Ihm hatte Gatzweiler schon 2012 diverse Unterlagen auf DVD gebrannt und zugeschickt, so hatte es Dieter Glüder im Zeugenstand ausgesagt auf Nachfrage des Gerichts. Eine Zustimmung hatte der Anwalt zuvor von den Verfahrensbeteiligten nicht eingeholt. Ich hatte mich über diese Vorgehensweise gewundert, weil die Akteneinsicht doch sehr weit zu gehen schien, siehe: ”Zweifelhafte Akteneinsicht.”
(In einer eidesstattlichen Versicherung hat Prof. Gatzweiler gegenüber dem Landgericht Köln im März 2014 erklärt, dass er ca. 4 Ordner an den Sachverständigen Dr. Dieter Glüder weitergeleitet hat. Darin waren Akten enthalten, die der Strafverteidiger als “unbedingt notwendig” für die Erstellung des von ihm in Auftrag gegebenen Gutachtens erachtete.)
Was Postillen so alles schreiben!?
Schon einmal — am 39. Verhandlungstag — hatte sich der erfahrene Strafverteidiger dazu aufgeschwungen, sich darüber zu mokieren — sinngemäß –, dass eine “Postille” schreibe, Parteigutachtern eine umfassende Akteneinsicht zu gewähren sei zweifelhaft (damit meinte Gatzweiler sehr wahrscheinlich dieses Post und dieses). Um seine Ansicht zu belegen, listete er diverse Kommentarquellen auf.
Damals hatte der Vorsitzende Richter Marc Tully noch abgewunken. Diesmal blieb Tully am Thema dran.
Und sagte zum Verteidiger, dass er diese Gedanken zur Akteneinsicht gern erläutert hätte — und stellte dann klar.
§ 147 StPO regele eindeutig die Akteneinsicht. Auch das Oberlandesgericht Frankfurt habe sich dazu geäußert und geurteilt, dass das Verteidigerprivileg zur Akteneinsicht ein persönliches Recht sei und NICHT übertragbar. (Tully spricht vermutlich diese Entscheidung des OLG vom 2.11.2012 an.)
Tully: “Das dürfen Sie nicht!”
In leicht scharfem Ton erklärte Marc Tully Verteidiger Gatzweiler: “Zur Weitergabe von Ermittlungsakten ist der Verteidiger nicht befugt. Auf die Frage, ob Sie ohne Mitwirkung von MIR Akten hätten weitergeben dürfen, sage ich Ihnen — das dürfen Sie nicht!”
Denn so steht u.a. im § 147 StPO, Absatz 5:
“Über die Gewährung der Akteneinsicht entscheidet im vorbereitenden Verfahren und nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens die Staatsanwaltschaft, im Übrigen der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts.“
Welche Folgen das Verhalten des Verteidigers Gatzweilers hat, darauf ging das Gericht nicht ein.
Auf jeden Fall ist es mehr als blamabel für einen erfahrenen Verteidiger wie Norbert Gatzweiler, eine so andere Auffassung der Rechtslage zu vertreten und die wohl umfassende Akteneinsicht des Parteigutachters erneut mit Kommentierungsauszügen zu verteidigen. Nach einer kurzen Diskussion mit dem Gericht über die Erklärung und die neu von Gatzweiler genannten Kommentierungs-Fundstellen sagte der Vorsitzende Richter: „Sie haben uns schon einmal Quellen genannt, die wir nachgeschlagen haben und die uns nicht weitergebracht haben.“
Die Linie der Verteidiger ist schwer zu verstehen. Bisher sind nur Formalargumente im Zusammenhang mit den Gutachtern vorgetragen worden, eine inhaltliche Auseinandersetzung findet bisher nicht statt.
Leider erwähnen Sie nicht, dass Richter Tully zum Abschluss der Sitzung am 10. Februar durchblicken ließ, in welcher Richtung er eine Pflichtverletzung des Vorstands zu prüfen gedenkt. Richter Tully nennt § 18 KWG (zur Offenlegung) als eine Vorschrift, bei der der Gesetzgeber bewusst unterschiedliche Entscheidungsstufen bei der Kreditprüfung eingeführt hat. Er erwähnte das übliche Kreditverfahren in einer Bank, wo den Entscheidungsträgern mit der Kreditvorlage die Grundlagen für das Votum vorgelegt werden müssen, frei nach dem Motto „je größer das Geld in Gefahr, desto größer die Prüfungsanforderungen“.
Es ist eben so, dass mit wachsendem Kreditbetrag und größerem Kreditrisiko intensiv geprüft werden muss, um die Pflichten nicht zu verletzen. Dass „Vera vigorously geprüft hat“, auf diese während der früheren Vernehmungen wohl gefallene Äußerung, die Richter Tully gleich zweimal genüsslich wiedergab, versteht sich von selbst. Dass die hierauf fußende „blanke Mitteilung des Prüfungsergebnisses eine hinreichend belastbare Entscheidungsgrundlage abgibt“, verneinte Richter Tully unter Hinweis auf die obigen Überlegungen im Zusammenhang mit § 18 KWG. So hatte der Vorstand also gar keine Möglichkeit, sich selbst ein Bild von dem Risiko für die Bank zu machen.
Wenn ich es richtig sehe, sucht Richter Tully nach gesetzlichen Anknüpfungstatbeständen für eine etwaige Pflichtverletzung. Tatbestände, die einem selbständigen Unternehmer in Fleisch und Blut übergegangen sein müssen: Wenn ich das Risiko (natürlich nur ab einem existenzbedrohenden Umfang) nicht selbst prüfe und kenne, und ich mich nur auf Dritte verlasse, droht Pleite. Dem angestellten „Unternehmer“, sprich Vorstand, droht Strafe.
Der Prozess scheint sich endlich auf die Kernfragen zuzubewegen. Was meinen Sie?
Sie waren schneller als ich. Den Post über die Sicht des Gerichts auf die Pflichtverletzung hatte ich fast fertig.
Ich habe es nicht besser zusammen gefasst. :)
Und ja, das Gericht bewegt sich langsam in die entscheidende Richtung. Vielleicht sind sie ja doch im April durch und das Urteil kommt.