Zeuge Marc S.: “Ich war sehr erschöpft.”
Der Zeuge S. hat an seinem fünften Befragungstermin vor Gericht einen intimen Einblick in sein Arbeitspensum gegeben, das er zu Zeiten des fraglichen Omega 55-Geschäfts zu bewältigen hatte — und in seinen Gemütszustand.
Marc S. sagte: Ich war sehr erschöpft, so kurz vor Weihnachten. Ich hatte drei Tage durchgearbeitet, deshalb war ich zu diesem Zeitpunk wohl etwas gleichgültig gegenüber Omega 55.
Der wieder erwachte “tote” Deal
Zeuge S. spricht über den 21. Dezember, dem letzten Arbeitstag im Jahr 2007, zu dem Omega 55 unbedingt noch unter Dach und Fach gebracht werden musste. In einer E-Mail, die ihm Richter Bruns vorlas, hatte S. von einem Kollegen erfahren, dass der “Deal mit BNP Paribas tot sei”. Eine Stunde später hieß es dann, ebenfalls per E-Mail: der Deal sei “closed”, also von HSH und BNP Paribas genehmigt.
Richter Bruns interessierte nun, warum Omega “tot” gewesen sei und was das Geschäft in dieser einen Stunde wiederbelebt habe. Marc S. erwiederte, dass er “erschöpft” gewesen sei und nichts mehr mit Omega 55 zu tun hatte, weil er an einem Geschäft mit der Investmentbank Lehman Brothers saß. Er könne deswegen zu den Gründen nichts sagen. Deshalb habe er auf die Mails auch nicht reagiert.
Really grazy times
Nur wenige Tage zuvor, am 18. Dezember, war S. noch in einer ganz anderen Stimmung, einer höchst ärgerlichen. Da schrieb er per Mail an zwei seiner engen Mitarbeiter in London:
“Das ist wirklich verückt. Die Bank schließt eine Transaktion ab, ohne sie verstanden zu haben und noch verrückter — der einzige Jurist geht zu den Spice Girls und der Leiter “Origination” vergnügt sich auf einem langen “Geschäftsessen” mit Wein. Und wir haben nur noch drei Tage Zeit, um drei Geschäfte abzuschließen. Bin ich irre oder läuft hier was falsch?” (Original ist in Englisch gefasst.)
Bei den drei Geschäften, die der Zeuge Marc S. zwischen dem 18. und 21. Dezember 2007 abzuarbeiten hatte, handelt es sich nach seiner Aussage sehr wahrscheinlich um St. Pancras (ein Eigenkapital-Überkreuzgeschäft mit der Hypo Real Estate), zwei Abschlüsse mit Lehman Brothers und um Omega 55.
Enges Zeitfenster
Die E-Mails belegen den zeitlichen Druck, unter dem Omega 55 ausgearbeitet worden ist. Denn eigentlich hatte die HSH ein anderes Überkreuzgeschäft geplant, mit dem sie ihre Bilanz verschönern wollte. Sie hatte mit der Investmentbank Lehman Brothers einen Deal namens “Ruby” ausgehandelt. Lehman ließ “Ruby” aber plötzlich aus Reputationsgründen platzen, obwohl die HSH-Vorstände den Deal längst genehmigt hatten.
Nur 2 bis 3 Wochen später lag dann Omega 55 unterschriftsreif vor, so berichtet es Zeuge S. Ruby sollte ebenso wie Omega das Eigenkapital der HSH entlasten, geplant war auch ein Zurücknehmen der zuvor ausgelagerten Risiken. Unterschied lediglich zu Omega: bei Omega wurden Firmen- und Immobilienkredite ausgelagert, bei Ruby sollten es Kredite von Finanzinstituten sein. Das aber war Lehman offenbar zu heikel angesichts der schwelenden Finanzkrise. Sie wollten wohl nicht “am Ende doof aussehen”, schätzte Marc S.
BNP Paribas schlug Omega 55 schon im Sommer vor
Während der Zeuge über die besonderen Zeitumstände Ende 2007 berichete, erwähnte er beiläufig eine interessante Neuigkeit — die er am 8. Verhandlungstag erneut aufgriff.
Offenbar hatte der Leiter der Londoner Niederlassung Luis Marti-Sanchez die BNP Paribas angesprochen, ob man nicht ein Eigenkapital-Entlastungs-Geschäft zusammen abschließen wolle. Marti-Sanchez ist das, was man gemeinhin einen alten Hasen nennt, er soll mit Investmentbankern aller globalen Bankkonzerne bestens vernetzt sein, mit seinem Wissen und Kontakten Millionen verdienen, auch bei der HSH.
Die BNP Paribas hatte daraufhin der HSH im Sommer 2007 das Geschäft Omega 55 in einer Präsentation vorgestellt. Damals aber war es für die HSH offensichtlich nicht interessant, mit der BNP Paribas so ein Geschäft abzuschließen; sie verfolgte es nach Aussagen des Zeugen nicht weiter.
Vielmehr setzte die HSH auf die US-Investmentbank Lehman Brothers und handelte mit ihr die Eigenkapital-Entlastung namens “Ruby” aus. Als diese dann die monatelang vorbereitete Transaktion im November 2007 platzen ließ, griff die HSH auf das Angebot von BNP Paribas zurück … auf Omega 55.
Hexenjagd unter Mitarbeitern
Innerhalb der HSH löste das seit dem Jahreswechsel 2007/8 Verluste produzierende Omega 55 Geschäft dann eine regelrechte “Hexenjagd” unter den Kollegen aus. Zumindest nahm der Zeuge S. das so wahr, als sich in der ersten Jahreshälfte 2008 die Bank intern mit den Risiken von Omega kritisch beschäftigte.
Zwei Fraktionen bildeten sich über dieser Aufarbeitung heraus. Die einen, die nach Lösungen suchten, um die Verluste zu begrenzen. Zu dieser Fraktion zählt der Zeuge Marc S. sich selbst und die Vorstände. Die andere Fraktion suchte dagegen nach Schuldigen. In diese Gruppe ordnete Marc S. die Rechtsabteilung ein.
S. selbst fühlte sich weder verfolgt noch angeprangert.
Und sonst?
Nonnenmachers Anwalt Heinz Wagner hat sich heute herausgenommen, Staatsanwalt Wegerich lautstark anzublaffen und ihm ins Wort zu fallen.
Bei Richter Tully ist schwer zu sagen, ob er manchmal ironisch vor sich hinlächelt, während er den Saal scanned, oder ob er konzentriert Verteidiger und Angeklagte beobachtet und der Zeugenbefragung folgt. Er schafft es jedenfalls immer, mit nur wenigen Worten die sich erhitzenden Gemüter wieder zu beruhigen. Nebenbei lutscht er Bonbons und schreibt sich ab und an Zettel mit Richter Bruns.
Den Zeugen Marc S. hat die 8. Strafkammer auch in der nächsten Woche für zwei weitere Verhandlungstage geladen.
Nachtrag
Der Deal “Ruby” steht als Abkürzung für eine Zweckgesellschaft, die die Investmentbank Lehman Brothers seit der Jahrtausendwende in Dublin, Irland, betrieb, die Ruby Finance Public Limited. Oder hier.
______________________
Dr. Gerhard Schick hat im September 2010 die BAFIN im Zusammenhang mit Überkreuzgeschäften wie St. Pancras folgendes schriftlich gefragt:
Und welche Beweggründe hatten Lehman Brothers, dass sie Schäden für Ihre Reputation durch dieses Geschäft befürchteten ? Wurde danach nachgefragt ?
Ja, danach wurde gefragt. Aber S. hat es etwas verklausuliert beantwortet.
Lehman hatte nach Angaben von S. ein Rechtsgutachten erstellen lassen. Dieses kam wohl zu dem Schluss, dass es aus Reputationsgründen zu riskant sei, Ruby abzuschließen. So wie ich den Zeugen verstanden habe, bestand das Referenzportfolio für die Ruby-Transaktion ausschließlich aus Anleihen und Krediten von/mit Banken (bei Omega waren es Kredite an Reeder und US-Bauherren). Da die Finanzkrise schon seit mehr als einem halben Jahr schwelte, der Verbriefungsmarkt eingetrocknet war, wollte Lehman vermutlich nicht ausgerechnet die Ausfallrisiken von Bankkrediten übernehmen. Wie es der Zeuge sagte: Lehman wollte am Ende nicht doof aussehen, doof wohl im Sinne von: nicht gemerkt haben, das Banken arg ins Staucheln geraten sind und Ausfälle mehr als absehbar waren … (Alter Spruch: Greife nie in ein fallendes Messer.)
Darin bestand, so meine Schlussfolgerung, das Reputationsrisiko.